Heißes Thema mit offenen Fragen:

Qualifizierungsanforderung des Verantwortlichen bei der Verkehrsabsicherung

von  Ltd. Regierungsdirektor R. Hummel, Tübingen

 

Unzureichend abgesicherte Baustellen im Straßenraum sind ein vertrautes Bild im Verkehrsalltag. Das könnte man hinnehmen, wenn die Folgen unerheblich wären oder nur das Bauunternehmen beträfen und –äußerstenfalls- dessen Wettbewerbsfähigkeit einschränkten. Tatsächlich sind derartige Baustellen aber Gefahrenherde ersten Ranges mit einem hohen Verunfallungsrisiko. Gefährdet sind dabei nicht nur die Verkehrsteilnehmer, die darauf vertrauen, möglichst sicher an der Arbeitsstelle vorbei- oder hindurchgeführt zu werden; gefährdet sind auch die Arbeiter auf der Baustelle, die sich zum Teil mehr oder weniger schutzlos dem Verkehr aussetzen oder ausgesetzt sehen. Da muß es eigentlich verwundern, mit welcher Sorglosigkeit immer noch Baustellenabsicherungen vorgenommen werden.

Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Häufig sind es Desinteresse, Bequemlichkeit, Unkenntnis, Zeitdruck, unklare Aufgabenstellung oder Kostengesichtspunkte. Vielfach sind mangelhafte Absicherungsmaßnahmen aber auch auf eine fehlende fachliche Qualifikation der Beteiligten zurückzuführen. Vorschriften über Eignung und Befähigung von Baustellenverantwortlichen gab es bis vor kurzen nicht. Noch die im Jahre 1995 mit dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau (ARS) Nr. 6/1995 des Bundesministers für Verkehr bekannt gegebenen, sehr intensiv überarbeiteten „Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA 95)“ enthielten keine entsprechenden Hinweise oder Anforderungen. Sie begnügten sich damit, allein auf die Zugriffsbefugnis des Verantwortlichen auf die Arbeitsstelle vor Ort abzustellen. Hinzu kam, daß ein von einem Arbeitskreis im Auftrag der Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV) erarbeitetes „Merkblatt über Rahmenbedingungen für erforderliche Fachkenntnisse zur Verkehrssicherung von Arbeitsstellen an Straßen“, das sich mit dieser Thematik sehr gründlich auseinandergesetzt und ein fachbezogenes Anforderungsprofil für Kenntnisse und Fähigkeiten von Baustellenverantwortlichen entworfen hat, auf Eis gelegt wurde.

Und es stand zu befürchten, daß diese Thematik wegen der politisch energisch betriebenen, das gesamte deutsche Rechtssystem erfassenden Deregulierungsbemühungen bis auf weiteres nicht mehr aufgegriffen werden würde.

Um so erstaunlicher und erfreulicher war es, daß der Bundesverkehrsminister in den mit dem ARS Nr. 34/1997 vom August letzten Jahres für den Bereich der Bundesfernstraßen eingeführten „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Sicherungsarbeiten an Arbeitsstellen an Straßen (ZTV-SA-97)“ Empfehlungen ausgesprochen hat, die die fachliche Qualifikation des verantwortlichen Absicherers betreffen. Zwar hat er insoweit einen eher ungewöhnlichen Weg gewählt, dessen Effektivität aber nicht zu unterschätzen sein dürfte. So hat er die Qualifikationsanforderungen nicht als verbindliche Vorgaben für die verkehrsrechtliche Anordnung in den RSA oder in der VwV-StVO verankert, sondern als Auswahlkriterium für die Vergabe von Bauarbeiten in das bauvertragliche Verfahren integriert. Wenn die Auftraggeber diese Empfehlung umsetzen und mit dem jeweiligen Angebot vom Bieter auch Nachweise über die Eignung und Qualifikation des nach den RSA  zu benennenden Verantwortlichen für die Sicherungsarbeiten an Arbeitsstellen einfordern, wird entsprechend den Regeln des Marktes und des Wettbewerbs kein Unternehmen auf Dauer umhin kommen, seine Baustellenleiter schulen zu lassen. Das läßt eine breit angelegte Qualifizierungsoffensive erwarten.

Es ist zu hoffen, daß die ZTV-SA 97 alsbald von allen öffentlichen Straßenbaulastträgern für ihre Straßenbaumaßnahmen übernommen werden und Unternehmen mit entsprechend  qualifizierten Verantwortlichen diesen Umstand im Bereich anderer Bauaufträge als Wettbewerbsvorteil erkennen und sich zunutze machen. So könnte mit den ZTV-SA 97 eine deutliche Verbesserung der Verkehrssicherheit erreicht werden.

Allerdings bleiben ungeklärte Fragen:

Die Qualifikationsnachweisungen und die Qualifikationsanforderungen sind als „Richtlinien“ für den Auftraggeber bei der Aufstellung der Leistungsbeschreibung und nicht als echte Vertragsbedingungen nach VOB ausgestaltet. Das kann man akzeptieren, wenn die Auftraggeber nur einigermaßen konsequent und verantwortungsbewußt die neuen Möglichkeiten nutzen.

Unbefriedigender erscheint der verhältnismäßig allgemein gehaltene Anforderungskatalog: „Der Verantwortliche für die Verkehrssicherung muß die deutschen Straßenverkehrsvorschriften und die im Bereich der Arbeitsstellen erforderlichen Aufgaben der Verkehrsführung, der Beschilderung, der Markierung, der Absicherung sowie der Beleuchtung beherrschen und entsprechend diesen ZTV herstellen und beurteilen können sowie der deutschen Sprache mächtig sein“ (Nr. 4.2 Abs. 9 der ZTV). Es fehlt eine inhaltliche Konkretisierung, die zwar eine gewisse Flexibilität ermöglicht, in der Praxis aber unerwünschte wettbewerbliche Unwuchten hervorrufen kann.

Damit in Zusammenhang steht die eigentliche Problematik für die Praxis in Umgang mit den neuen ZTV-SA 97: Wie kann der Auftraggeber in einer die wettbewerbliche Chancengleichheit beachtenden und den Intentionen der ZTV zur Erhöhung der Sicherheit an Straßenbaustellen gleichermaßen gerecht werdenden Weise die ggf. vorgelegten Nachweise der Bieter für die Eignung und Qualifikation der benannten Verantwortlichen für die Sicherung von Arbeitsstellen sachgerecht bewerten? Die ZTV selbst schweigt sich hierzu aus.

In dem ARS Nr. 34/1997 des Bundesverkehrsministers sind einige ergänzende Hinweise enthalten, die aber zur Problemlösung nicht nur nicht geeignet sind, sondern möglicherweise sogar schwerwiegende Mißverständnisse hervorrufen können. Zunächst werden zwei grundsätzlich unterschiedliche Qualifizierungswege aufgezeigt und als gleichberechtigt nebeneinander gestellt:

® Besuch von Schulungsverantstaltungen bzw.

® praktische Erfahrungen aufgrund ausgeführter     Verkehrssicherungsmaßnahmen unter Verkehr

Die letztgenannte Variante dürfte zwar/und den EU-rechtlichen Anforderungen, den an Kostengesichtspunkten ausgerichteten Bedürfnissen der (Bau)wirtschaft entgegenkommen, dem Auftraggeber die geforderte korrekte Prüfung der Eignung und Qualifikation praktisch aber kaum möglich machen. Allein die Tatsache, bereits Verkehrssicherungsmaßnahmen ausgeführt zu haben, taugt nicht als Gütesiegel, insbesondere wenn die traurige Wirklichkeit auf Deutschlands Straßen nüchtern betrachtet.

Daher wird man die erste Alternative als grundsätzlich vorzugswürdig ansehen müssen. Aber auch sie enthält Fallstricke, die der Zielsetzung „Verbesserung der Verkehrssicherheit“ abträglich sein können: 

Weder ist in dem ARS Nr. 34/1997 eine inhaltliche Konzeption für Schulungsveranstaltungen vorgegeben, noch sind die Veranstalter derartiger Qualifikationsmaßnahmen hinsichtlich ihrer fachlichen und didaktisch-methodischen 

Kompetenz irgendwelchen Anforderungen unterworfen worden. Zwar dürften die ausdrücklich aufgezählten Fortbildungsträger wie der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, die Tiefbau-Berufsgenossenschaft oder die Berufsfachverbände insoweit eine ausreichende Gewähr für eine sachgerechte Schulung bieten. Besondere Erwähnung verdient hier im übrigen auch das am Berufsbildungsgesetz ausgerichtet und zusammen mit dem Fachverband Verkehrssicherung an Arbeitsstellen auf Straßen (FVAS) entwickelte Ausbildungskonzept der Indutrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein für eine „Technische Servicekraft für Verkehrsabsicherung“ mit Zertifizierung nach dem Berufsbildungsgesetz. Die Aufzählung ist aber nicht abschließend und eröffnet vielen Institutionen die Möglichkeit, sich in diesem Bereich unkontrolliert zu etablieren. Das kann nach den Regeln des Wettbewerbs durchaus eine Chance sein; das kann aber auch ein nicht unerhebliches Risiko für Auftraggeber und Unternehmer bedeuten, die die Wertigkeit einer Qualifizierungsmaßnahme nur schwer werden einschätzen können. Das Layout einer Teilnahmebescheinigung kann und darf jedenfalls nicht der Gradmesser für die Eignung und Qualifikation des Baustellenverantwortlichen sein.

Darüber hinaus bietet das Rundschreiben des Bundesverkehrsministers noch aus anderen Gründen Anlaß für kritische Anmerkungen:

Angesichts des Anforderungskatalogs an die Qualifikation des Verantwortlichen in den ZTV-SA erscheint das Erreichen dieser Befähigung – zumindest für Neulinge in diesem Geschäft – in eintägigen Seminarveranstaltungen kaum möglich. Wer bereits über Erfahrungen und Kenntnisse verfügt, sein Wissen also nur noch einmal auffrischen oder erweitern oder sich mit Neuerungen vertraut machen möchte oder der Erfahrungsaustausch mit Kollegen oder Fachleuten sucht, für den werden derartige Schulungsangebote interessant sein und ausreichen. Das Problem liegt aber vor allem darin, daß Unternehmen das ARS dahin mißverstehen könnten, sich mit dem Besuch eines eintägigen Seminars durch ihre Mitarbeiter zu einem kompetenten Baustellenabsicherer mausern zu können. Das wäre nicht im Sinne der Zielsetzung der ZTV-SA. Das würde im übrigen auch den Bestrebungen von Fachfirmen zuwiderlaufen, die sich wesentlich breiter angelegten Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen für ihre Mitarbeiter speziell auf das Geschäft der Absicherung konzentriert haben und damit einen wichtigen Beitrag für mehr Sicherheit an Baustellen und damit auch allgemein auf unseren Straßen leisten. Es wäre bedauerlich und geradezu paradox, wenn die lange geforderten, nun erstmals in richtigen Ansätzen in das bauvertragliche Verfahren einbezogenen Qualifikationsanforderungen für die Baustellenverantwortlichen letztlich zu einer Absenkung des Sicherheitsniveaus führen würden.

Es wird die Aufgabe (zunächst) der öffentlichen Auftraggeber sein, durch kritische Prüfung der ggf. von den Bietern vorgelegten Eignungsnachweise dem Grundanliegen der ZTV-SA für mehr Sicherheit an Arbeitsstellen an Straßen auch in der harten wettbewerblichen Realität nachhaltig Geltung zu verschaffen.